Recherchewege

Auch Sie wollen nach Christen jüdischer Herkunft in Ihrer Kirchengemeinde forschen? Dann empfiehlt es sich, die ausführliche Beschreibung der erprobten Recherchemethoden als pdf-Datei auszudrucken.  

Es handelt sich bei dem nun folgenden Text um einen leicht überarbeiteten und gekürzten Auszug aus der Einleitung von Wolfgang G. Krogel zum (vergriffenen) Buch „Evangelisch getauft-als Juden verfolgt…“ 1

Ausgangspunkt der Suche war für die im AK Christen jüdischer Herkunft im NS zusammengeschlossenen 12 Berliner evangelischen Kirchengemeinden Taufbuchrecherchen in den eigenen kirchlichen Quellen:

Taufbücher der Gemeinden befinden sich entweder in den Archiven der Gemeinden oder in der Form von Microfiches oder fotographischen, gebundenen Rückvergrößerungen im Bestand des Evangelischen Landeskirchlichen Archivs in Berlin (ELAB), Bethaniendamm 29, 10997 Berlin. Zur Schonung der Originale und wegen der besseren Zugänglichkeit ist die Benutzung im Lesesaal des Kirchlichen Archivzentrums Berlin (KAB) vorzuziehen. Verantwortlich ist die Kirchenbuchstelle beim Landeskirchlichen Archiv.

Nach vorheriger Anmeldung bei Frau Gerlind Lachenicht (Tel.: 030/225045-13) können Termine für Recherchen an Microfiches im Lesesaal des KAB Berlin vereinbart werden. Für die Zwecke der Recherchen des Arbeitskreises konnte Dank einer privaten Spende aus dem dem Arbeitskreis ein Lesegerät angeschafft werden.

Zum Teil unterliegen die personenbezogenen Daten aus den Kirchenbüchern noch heute dem langfristigen, strengen Datenschutz. Nnur gegen die schriftliche Selbstverpflichtung zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und Verschwiegenheit gegenüber Dritten für die Forschung  wurden die Unterlagen freigegeben.

In welchen Schritten wurden nun die Elemente dieses Personenkreises ermittelt? Erster Schritt war die Suche nach der Kirchenbuchsignatur im Verzeichnis der Kirchenbücher bzw. Microfiches. Die Kirchbucheintragungen wurden dann an einem Lesegerät durchgeschaut. Da sie häufig in „Sütterlinschrift“ eingetragen wurden, empfiehlt es sich auch in Zukunft, schrifterfahrene Rechercheure einzusetzen, die diese Schrift lesen können.
Zweite Frage war die Suche nach dem Was? Gesucht wurden Getaufte, bei denen wenigstens ein Elternteil den Zusatz mosaisch, israelitisch oder jüdisch aufwies. Festgehalten wurden Name, Vorname, Geburtsdatum, Wohnadresse, Name der Eltern, Beruf des Vaters, Konfession der Eltern, Standesamtseintragung, Taufdatum, Taufort, taufender Pfarrer, Paten und evtl. Sondereintragungen. Wenn bei der Konfession der Eltern „Diss.“ angegeben war, konnte es sich möglicherweise aber nicht zwingend um Täuflinge jüdischer Eltern handeln. Die Klärungen erforderten umfangreiche Zusatzrecherchen.
Für die Kirchenbuchbestände Alt-Berlins von 1750 bis 1874 stehen die sogenannte „Fremdstämmigenkartei“ (verlinken) aus den 1930er Jahren zur Verfügung. Dort sind nur Namen von Getauften aufgeführt, die nicht arischer Herkunft waren.

Die Informationen aus den Kirchenbüchern wurden dann mit folgenden anderen Quellen abgeglichen:

Um sich in Datenbanken und den Abstammungsangaben zurechtzufinden, müssen die Verschlüsselungen aufgelöst werden:

  • ae (arischer Ehepartner)
  • M1 (Mischling 1. Grades)
  • M2 (Mischling 2. Grades)
  • priv. (privilegiert im Sinne einer privilegierten Mischehe)

In der Datenbank des Bundesarchivs Berlin finden sich folgende Abkürzungen:

  • JJJJ (Volljude)
  • JJJN (Dreivierteljude)
  • JJNN (Halbjude)
  • JNNN (Vierteljude)
  • NNNN (Arier)

Der erste Buchstabe bezeichnet den Großvater väterlicherseits, der zweite die Großmutter väterlicherseits, der dritte den Großvater mütterlicherseits und der vierte die Großmutter mütterlicherseits. Die Einsortierung in diese und andere abgewandelte Kategorien entschied vielfach über Leben und Tod der Betroffenen. Im Ergebnis entzaubert das rekonstruierte Ereignis die sprachliche Form und enthüllt die mitleidlosen Züge derer, die sie handlungsleitend verwendeten.
Die Ergebnisse der Recherchen und der Abgleichungen folgen selbstverständlich der eingeschränkten Fragestellung des Projekts. Mehrere Erkenntnisziele für die aufwändigen Abfragen sollen hervorgehoben werden: Waren aus den Kirchenbüchern Namen von Täuflingen bekannt, sollte über die Gedenkbücher oder Deportiertenlisten festgestellt werden, ob die Personen deportiert wurden. Die Gedenkbücher enthalten keine Angaben über die Konfessionszugehörigkeit, die Vermögenserklärungen nicht immer zuverlässige Angaben über die Konfession. Diese Angaben konnten durch den Abgleich mit den Eintragungen in den Kirchenbüchern ergänzt werden. Insbesondere durch die „Vermögenserklärungen“ ließen sich weitere Informationen über die Lebensumstände bis zum Zeitpunkt der Deportation gewinnen. Eintragsvergleiche unter den Datenbanken konnten wichtige ergänzende Informationen zu Familienangehörigen erbringen und bildeten die Grundlage für Gruppenbiographien. Nach den hier ermittelten Erkenntnissen konnten in den öffentlichen Datenbanken, wie z.B. der Yad Vashem Online-Datenbank, wichtige Korrekturen vorgenommen werden. Schließlich ist es in einigen Fällen noch gelungen, Kontakt zu Überlebenden oder Nachkommen herzustellen und dadurch weitere Informationen zu erhalten, die in die Berichte eingeflossen sind.

Je intensiver sich die Recherchen in das bereitgestellte Daten- und Quellenmaterial hineinbohrten, desto erschütternder wurden die Bilder, die sich daraus zusammensetzen ließen. Die Autorinnen und Autoren des Buches „Evangelisch getauft-als Juden verfolgt“ (verlinken) beschränken sich in ihren Darstellungen auf die Schilderung der Fakten und vermeiden gefühlsbetonte Bewertungen. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass die in Einzelschicksale vordringende Recherche nach Deportationsopfern mit erheblichen Belastungen verbunden ist. Wenige der an dem Arbeitskreis beteiligten Personen werden diese Tätigkeit über die Dauer dieses Projekts hinaus fortsetzen.