Kirchenbuchstelle „Alt-Berlin“

Ein Abriss zur Bestandsgeschichte

Die Planungen zur Einrichtung der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin als Abteilung des Berliner Stadtsynodalverbandes liefen seit Dezember 1935. Im Oktober 1936 wurde die Arbeit in den Räumen des Gemeindehauses der St. Georgen Kirchengemeinde (Kurze Straße 19/20 – Berlin-Friedrichshain) aufgenommen. Am 12.12.1936 fand im großen Saal des Gemeindehauses die  feierliche Eröffnung der Dienststelle statt, zu der Vertreter von Staats- und Kirchenbehörden sowie die geschäftsführenden Pfarrer der Alt-Berliner Kirchengemeinden eingeladen waren.

Die Entstehung der Kirchenbuchstelle steht im Zusammenhang mit der Rassegesetzgebung des Dritten Reiches. Am 15.9.1935 waren auf dem Nürnberger Parteitag der NSDAP das ‚Reichsbürgergesetz‘, das deutschen Staatsbürgern jüdischen Glaubens oder mit zwei Großeltern jüdischen Glaubens nur eingeschränkte Rechte zugestand und das ‚Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutsche Ehre‘ verkündet worden. Das letztere Gesetz verbat die Eheschließung von ‚Ariern‘ und Juden.

Mit dem ‚Ariernachweis‘ musste die eigene Abstammung über zwei Generationen nachgewiesen werden. Die zur Erstellung dieses Nachweises notwendigen Personenstandsunterlagen wurden von den Standesämtern ausgestellt, die es in Preußen seit dem 1.10.1874 gab. Für die Jahre und Jahrzehnte davor enthielten die Kirchenbücher die maßgeblichen Personenstandsdaten.

Den Kirchenbüchern war somit durch die ‚Nürnberger Rassegesetze‘ eine zentrale Rolle bei der Erstellung des ‚Ariernachweises‘ zugekommen. Wer diesen Nachweis zu führen hatte – nach September 1935 alle Bürger des „Deutschen Reichs“ –  musste  jeweils 10 Bescheinigungen vorlegen: insgesamt 7 Geburts- oder Taufurkunden sowie drei Heiratsurkunden.

In Berlin war schon 1903, um dem zunehmenden Interesse an Fragen der Familienforschung nachkommen zu können, die „Zentralstelle zur Ermittlung von Eintragungen in den Registern der evangelischen Kirchen in Berlin“ geschaffen worden. Doch arbeitete diese Einrichtung mit einem sehr zeitaufwendigen und nicht absolut zuverlässigen Umlaufverfahren und war damit den neuen Anforderungen nicht gewachsen.

Da die so genannten ‚Ariernachweise‘ in vielen Fällen nicht ohne die Kirchenbücher erbracht werden konnten, zeigte der nationalsozialistische Staat wachsendes Interesse an Erhalt und Erschließung der Kirchenbücher. In der Kirche wuchs die Sorge vor einer staatlichen Übernahme der Kirchenbücher.

So wurde die Kirchenbuchstelle Alt-Berlin in Zusammenarbeit des Berliner Stadtsynodalverbandes und der Reichsstelle für Sippenforschung errichtet. Die Bezeichnung „Alt-Berlin“ war gewählt worden, um deutlich zu machen, dass es sich nur um das alte Stadtgebiet aus der Zeit vor der Schaffung Groß-Berlins im Jahre 1920 handelt.

Alt-Berlin hatte 1874 aus 45 Kirchengemeinden bestanden und weder damalige Vororte wie Wilmersdorf, Charlottenburg, Weißensee noch die Landgemeinden und Gutsbezirke umfasst, die mit dem Gesetz vom 27.4.1920 zu Groß-Berlin eingemeindet wurden.

Alle Kirchenbücher dieser Gemeinden wurden eingesammelt, und die Kirchenbuchstelle kümmerte sich um die Verfilmung und Verkartung der Kirchenbücher. Nicht erfasst wurden hier die Kirchbücher der Alten Garnisonskirche, die Regimentskirchenbücher und die der französich-reformierten Gemeinde

Die Finanzierung der Arbeit wurde vom Berliner Stadtsynodalverband und der Reichsstelle für Sippenforschung getragen, die Personalkosten hatte der Stadtsynodalverband übernommen, die Materialkosten der Verfilmung und Verkartung der Kirchenbücher die Reichsstelle. Vollständig verkartet wurde das Taufregister.

Neben der Ausfertigung von Personenstandsurkunden gegen eine Gebühr von 0,75 RM, bestand eine weitere Aufgabe der Kirchenbuchstelle während des Krieges in der Sicherung der Berliner Kirchenbücher. Der Stadtsynodalverband mietete einen Tieftresorraum im Keller der Berliner Stadtbank am Alexanderplatz, wo die Kirchenbücher Alt-Berlins untergebracht wurden. Ein Wassereinbruch schadete diesen Büchern sehr. Andere Kirchenbücher wurden in der städtischen Sparkasse, der Reichsbank und der Brandenburgischen Girozentrale sowie außerhalb Berlins gelagert. Soweit es möglich war, wurden alle Kirchenbücher an die jeweiligen Gemeinden zurückgegeben.
Die Kirchenbuchstelle vor dem Krieg hatte 16 und zeitweise  sogar 30 Angestellte.

Als 1943 die Luftangriffe auf Berlin zunahmen wurde die Dienststelle nach Luckau in die Räume der dortigen Nikolaikirche verlegt. Kurz vor Kriegsende soll es in Luckau und Berlin noch 10-12 Mitarbeiter gegeben haben.

Drei Monate nach Kriegsende, im August 1945 gibt es drei Angestellte und im Mai 1946 wird dann von zwei Angestellten berichtet, die die anfallende Arbeit erledigten.

Da die Räume in der St. Georgen-Kirchengemeinde schwer beschädigt waren, erfolgte die Aufnahme der Arbeit im Dienstgebäude des Evangelischen Oberkirchenrates in der Jebensstraße 3. Nach einer zwischenzeitlichen Unterbringung der Fotokopien und Karteien der Kirchenbücher im Geheimen Preußischen Staatsarchiv wurden sie 1967 an das Archiv der Evangelischen Kirche der Union (später Evangelisches Zentralarchiv, EZA) in der Jebensstraße 3 als Depositum der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg gegeben.
Mit Gründung des ELAB kehrte der Bestand der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin in die Obhut der Landeskirche zurück und ist heute im ELAB die wichtigste Quelle für genealogische Ermittlungen in Alt-Berlin bis 1874.